Auf in die Kanäle Chile’s

Da wir schon gemerkt haben, daß die Bemerkung „Kanäle“ etwas für Verwirrung sorgen: hierbei handelt es sich nicht um künstliche und zum Teil kostenpflichtige Wasserwege wie bei uns. Vielmehr handelt es sich um die natürlichen Wasserwege in Süden und Westen Chiles, ähnlich den Fjorden Norwegens. Der Süden und Westen Chiles besteht aus unzähligen Inseln und Inselchen, die alle durch eben „Kanäle“ verbunden sind und entsprechend kreuz und quer befahren werden können. Jeder Kanal hat hier auch einen Namen und wir haben für das Befahren auch eine Genehmigung, der sogenannten Zarpe, in der aufgeführt ist, welche Kanäle wir befahren dürfen. Die bekanntesten sind die Magellan-Straße, die quer von Ost nach West das Festland von der großen Insel Tierra del Fuego (Feuerland) trennt. Weiter südlich verläuft ebenfalls von Ost nach West der Beagle-Kanal, in dem wir uns die ganze Zeit aufgehalten haben und den wir jetzt dann so langsam verlassen werden, wenn wir die nördliche Richtung einschlagen werden.

Die Ankerbuchten heißen hier „Caleta“ oder „Puerto“, von denen es unzählige gibt, eine schöner als die andere. Und über eben diese werden wohl die zukünftigen Beiträge handeln; mit den dazugehörigen Gletschern und Besonderheiten natürlich.

Wir sind nun endlich aus Puerto Williams losgekommen und haben nochmals Abschied von allen genommen, die uns in kurzer Zeit so an’s Herz gewachsen sind: unser Brite Steve, der schon sehr lange auf die Lieferung seines Ankers wartet und mit uns den ein oder anderen Kaffee getrunken hat (und auch mehr). Hacko und Nora von der Anixi, die bereits die patagonischen Kanäle hinter sich gebracht haben und nun Richtung Falklands starten. Heinz, der mit seinen nun 84 Jahren und über 40 Jahren Segelei durch die Welt, auch Richtung Europa starten will und noch über die Nordwestpassage nachdenkt (Nordamerika obenrum durch’s Eis) 😊. Und all die anderen, die wir hier kennenlernen durften. Den ein oder anderen werden wir unterwegs sicherlich noch einmal treffen. Mit uns fährt Ulf auf seiner Farvel, für den es als Einhandsegler hilfreich ist, sich mit anderen zusammenzuschließen. So werden wir immer mit zwei Booten unterwegs sein und können uns gegenseitig unterstützen.

Zum Abschied gibt es weiße Gipfel bei Porto Williams

Unser erstes Ziel sollte eine der Ankerbuchten sein, die wir nach dem Passieren von Ushuaia und dem Verlassen der argentinischen Grenzregion auffinden. In welche Caleta wir gehen, wollten wir spontan entscheiden – je nachdem wie weit wir kommen. Es war nur klar, es muß eine Caleta sein, in der wir die nächsten 3 Tage verbringen werden, da ein Starkwind angekündigt wurde, den wir sicher „aussitzen“ wollten. Wir hatten keinerlei Wind und auch keine Welle und sind daher nur unter Maschine gefahren. Wir hatten zwar einmal versucht, unsere Genua dazu zunehmen, aber das war nix. Wenigstens hatten wir keinen Gegenwind und keine Welle, die uns großartig ausgebremst hätte. Lediglich als wir Ushuaia passiert haben, wurde es neblig und feucht, aber es war erträglich. (für uns sowieso, da wir ja trocken in unserer Kuchenbude sitzen können – lediglich Ulf muß auf seiner Farvel die Zeit im Freien am Ruder verbringen).

Wir haben uns dann für die Caleta Boracho (Betrunkenenbucht) entschieden und just, als wir den Kurs hierauf absetzen, ruft uns Jeanette von der Santa Maria Australis an. Sie sehen uns auf AIS und sie wären ja in der Caleta Ferrari, ob wir denn auch da hinkommen. Kurzer Ratschlag mit Ulf, wir ändern den Kurs wieder in die Ferrari – Ulf wollte sowieso lieber hierhin. So haben wir nochmals die Chance, einen Abend mit den beiden zu verbringen und auch hier Lebewohl zu sagen.

Die Caleta Ferrari liegt in einer großen Bucht, der Bahia Yendegaia, in die ein Fluß mündet. Der Ankerplatz befindet sich vor einer ehemaligen Estanzia und bietet die Möglichkeit, das Land leicht zu betreten und zu erwandern. Das haben wir natürlich auch gleich ausgenutzt. Wir hatten tolles Wetter mit Sonnenschein bei unserem Landgang. Der Weg führte uns natürlich über die Estanzia, in der noch einiges an Inventar herumliegt. Leider verfallen die Gebäude sehr stark. Auch der ehemalige Garten ist noch zu sehen mit unzähligen Himbeersträuchern, an denen auch etliche reife Früchte hingen. Voller Freude habe ich das Pflücken angefangen; leider sind die Beeren so fest an ihrem „Kerngehäuse“, daß diese nur als Matsche an den Fingern kleben – doch kein Himbeernachtisch.

Weiter ging es am Fluß entlang, durch etliche Feuchtgebiete – die Biber leisten hier wirklich volle Arbeit. Etliche ehemalige Viehweiden sind total unter Wasser gesetzt und das Vorankommen ist sehr feucht und schwer. Ehemals genutzte Holzwege und Brücken sind noch vorzufinden, während wir uns Richtung ehemaliges Flugfeld bewegen. Überall grasen Pferdeherden und viele Vögel sind zu hören und zu sehen. Außerdem muss es sehr viele Hasen geben, nach den Hinterlassenschaften zu urteilen, gesehen haben wir nur einen Einzigen. Und natürlich wieder viele tolle Pflanzen und Blüten – Sommer halt. Man hält es nicht für möglich, daß diese Pflanzen hier gedeihen bei dieser Durchschnittstemperatur. Undenkbar für uns, daß bei uns Himbeeren an den Sträuchern hängen, wenn es nur 10 bis 14 Grad warm ist und des öfteren regnet.

Wir haben schließlich den starken Wind hier gut ausgesessen und sind dann 3 Tage später weitergezogen in die Caleta Olla. Hier werden wir unseren ersten Gletscher, den Glacier Holanda vom Boot aus sehen können. Die ersten Seemeilen können wir auch noch gut segeln, bis der Wind wieder auf eine Richtung dreht, in der wir unmöglich segeln können. Aber wir kommen auch so wieder gut vorwärts. Uns war im Vorfeld klar, daß wir in den Kanälen kaum segelbaren Wind haben werden. Daher ist es für unsere Planung und Weiterfahrt einfach nur wichtig: möglichst wenig Wind von vorne und nicht gegen Wind und Strömung ankämpfen müssen. Das würde uns nur unnötig Zeit und vor allem Diesel kosten. Und dieser ist hier seeeeehr wichtig. Die nächste Tankmöglichkeit besteht erst in Puerto Eden in Luftlinie 400 Seemeilen; in gefahrenen Seemeilen durch die Kanäle deutlich mehr. Bis dahin will unser Motor und auch unser Diesel-Ofen gefüttert werden.

Auch die Caleta Olla fanden wir wunderschön. Der erste Landgang ging auf den Hügel und am Strand entlang bis zum Fluß und dann ab zu einem Wasserfall. Natürlich wieder sehr feucht, sehr üppig und wunderschön. Die Männer sind dann am nächsten Tag mal alleine losgezogen in Richtung Gletscher da es mir nicht so gut ging. Nach mehreren schweißtreibenden Stunden kamen sie wieder erschöpft und zufrieden zurück und durften sich dafür bei frischem Apfelplootz stärken, ehe es hieß: „Fasnacht in Franken“, musste geschaut werden. Zum Aussichtspunkt auf den Gletscher und den Gletschersee gibt es einen kleinen Trampelpfad, der am Eingang markiert ist. Da man aber nicht Hin- und Rückweg auf dem selben Weg machen will – „man will ja was sehen“ – sind die beiden dann auf eigenen Wegen den Berg herunter. Das war wohl sehr anstrengend 😉. Außerdem war für den nächsten Tag eine Wanderung am Flußlauf entlang angedacht, der so beschrieben ist und bis zum Gletschersee führen sollte. Denkste, die eine Seite war durch den Biber unpassierbar geworden, die Andere zu dicht bewachsen und immer wieder mit kleinen Wasserläufe durchzogen. Am letzten Tag noch eine kleine Abschlusswanderung am Strand entlang bis zu einem Seezeichen und zurück, wer weiter will hat es wiederum sehr schwer.

Auch in dieser Caleta sind wir 4 Nächte geblieben wegen der Wettervorhersagen und am Montag zeitig losgezogen in den Seno Pia. Dies ist ein zweiarmiger Fjord, in dem an beiden Enden der Gletscher bis ins Wasser reich – und ein „must-do“, wenn man hier vorbeifährt. Wir sind bei blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein losgefahren und vorbei an tollen Gletschern, dem Italia, Francia, Alemania und dem Romanche. Leider haben wir schon gesehen, daß sich der Himmel langsam zuzieht. Für die nächsten Tage ist leider auch deutlich kühlere Temperatur mit Schneeregen angesagt. So sind wir direkt bis zum Pia-Gletscher im rechten Arm hineingefahren und haben unseren ersten Gletscher direkt am Boot erleben dürfen mit seiner Abbruchkante und den kleinen Eisbrocken im Wasser. Ein beeindruckendes Erlebnis. Ebenso beeindruckend: wir hatten leider massive Grundberührung bei der Zufahrt. Die elektronischen Seekarten sind hier leider nicht ganz genau und wir haben es geschafft, einen Felsen unter Wasser zu touchieren, der nicht eingezeichnet war.

Es hat einen abrupten Stopp gegeben und das ganze Schiff ist kurz nach Steuerbord gekippt und zurück. Ein erster Augenschein aller relevanten Teile hat keine ersichtlichen Schäden erkennen lassen. Der Skipper wird in den nächsten Tagen noch einmal das Unterwasserschiff abtauchen und schauen, wo unser dicker Kiel eine Beule hat. Sind wir mal froh, daß wir so eine „Fat-Lady“ aus dickem Aluminium und massiven Kiel haben. Lediglich später haben wir dann bemerkt, daß unser Haltebrett für den Außenbordmotor durch diese Wucht gebrochen ist und der Außenborder nur noch am seidenen Faden hängt. Also bastelt uns Jochen ein neues Brett, damit wir den Außenborder wieder an seinen Stammplatz hängen können.

Es fing dann natürlich auch pünktlich zum Ankern mit dem Regen an. Unser Schiff hat schnell seinen Platz gefunden und der Anker hält gut, die Leinen zum Land sind schnell gelegt. Nur Ulf hat mit seinem Boot etwas Probleme, sein Anker hält nicht richtig und er muß zweimal einen neuen Anlauf nehmen um zu ankern. Da wir ihm beim Landleinenausbringen natürlich helfen, sind wir alle drei durchgeweicht. Zur Belohnung gibt es erst mal einen Kaffee und einen warmen Schokopudding – für Leib und Seele. Das war dann auch genug Aufregung für heute – sowohl positiv als auch negativ. Als wir ins Bett gehen, sehen wir Ulf auf seinem Boot werkeln. Ein kurzer Ruf rüber, ob alles klar ist: Ja, er hat noch etwas Kette gegeben, da er seinen Anker über Grund rumpeln hörte.

Das musste sein:“ Whiskey on the rocks“, mit frischen Gletschereis. Nach der ganzen Aufregung haben wir uns das doppelt verdient.

Am nächsten Morgen, wir schauen aus dem Fenster. Jetzt hängt Ulf aber sehr nah am Ufer. Schneller Funkruf rüber, ob er es schon gesehen hat. Nein, noch nicht gesehen und ja, er hat immer noch Probleme mit dem Anker, die Aufzeichnung seiner Bewegung lässt naheliegen, daß der Anker nicht hält und er sich bewegt. Also zieht Jochen sich wieder Regenfest an und die beiden ankern nun nochmals komplett um und verlegen sein Schiff auf einen ganz anderen Platz, bis sicher ist, daß der Anker nun auch wirklich hält.

Hier (nochmals?) für die Laien eine kleine Erklärung, wie das mit dem Ankern so läuft bzw. wie wir es handhaben:

Jochen fährt langsam die Stelle ab, an der wir ankern möchten und beobachtet dabei den Tiefenmesser. Wir brauchen einen gewissen Radius um das Schiff mit genügend Tiefe, da sich das Schiff ja im Regelfall mit dem Wind um den Anker herum bewegt („schwojen“). Hat er eine Stelle gefunden, die ihm zusagt, ruft er mir zu „Anker ab“. Wir ankern gerne in einer Tiefe von 5 – 10 Metern, was leider nicht immer möglich ist. Ich lasse den Anker dann fallen und gebe entsprechend der Bedingungen Kette aus. (alle 10 Meter ist eine farbliche Markierung an der Kette, damit man weiß, wieviele Meter draußen sind). Ist unsere Wunschlänge ausgebracht, fährt Jochen langsam rückwarts, bis die Kette auf Zug kommt. Dies beobachte ich bzw. lege meine Hand auf die Kette. So kann ich auch fühlen, ob der Anker über den Grund „ruckelt“ oder greift. Kommt die Kette auf Zug, gebe ich Jochen die Info und er gibt dann rückwärts mehr Gas. Bleibt die Kette auf Zug und nichts ruckelt – das sehe ich, indem die Kette aus dem Wasser in flacherem Winkel kommt – hält der Anker. Wir hängen dann noch eine sogenannte Ankerkralle ein, damit nicht die ganze Kraft der Kette auf der elektrischen Ankerwinsch und dem Bugbeschlag hängt um diese evtl. zu beschädigt. Die Ankerkralle hängen wir in die Kette ein und belegen die Leinen, an die jene hängt, auf den starken Klampen, so nehmen diese den Zug auf.

Hier in den Caletas machen wir das auch so, aber nach dem Ankern werden noch zusätzliche Leinen an Land, an Bäumen oder Felsen ausgebracht, da hier meistens kein Platz zum schwojen ist und das Boot in seiner Lage fixiert sein muß.

So nun sind wir beide sicher vor Anker und verbringen unsere Zeit im warmen Schiff, da es jetzt sehr ungemütlich kalt mit Schneeregen ist. Die Schneefallgrenze ist nur noch wenige Meter über dem Meeresniveau, wahrscheinlich könnten wir auf unserer Mastspitze schon einen Schneemann bauen 😊. Jochen fängt das reparieren an und ich kümmere mich um andere Kleinigkeiten.

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6 Kommentare

  1. Hans-Josef Krönert

    Alle Achtung, ihr seit ja richtige Seebären geworden.
    Vielen Dank für die Wunderbaren Berichte. Die Bilder sind Atemberaubend.
    Trotz der technischen Hilfsmittel ist das ein großes Abenteuer. Wie haben die Seefahrer früher das geschafft?
    Ich freue mich weiter auf die Berichte und Bilder.
    Weiterhin viel Glück bei eurem großen Abenteuer.

    Grüße aus Willanzheim
    Hans-Josef

    • Jochen

      Bitteschön und Dankeschön, wie die alten Seefahrer das so geschafft haben ist wirklich zu bewundern.
      Gruß in die Heimat

  2. Alexandra

    Genau auch mein Gedanke: was für tolle Bilder! Und mal wieder denke ich mir, wie mag das wohl sein, solch einen alten und großen Gletscher in Natura zu sehen….

    • Jochen

      In Natura natürlich noch beeindruckender, Bilder bringen es halt nicht so rüber.

  3. Dirk

    Was für ein Abenteuer und was für tolle Bilder! Da wird man ein bissel neidisch!
    LG von der Southeast!

    • Jochen

      Wir geben uns weiterhin alle Mühen es euch hier unten schmackhaft zu machen.
      LG

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